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Konsum, Alltag und Globalisierung

Primat des Lebendigen und „Projekte der Hoffnung“

12. Februar 2007 um 22:32 von Ralph

projekte-der-hoffnung Die Menge der Horrornachrichten, die uns täglich überschütten, tragen nicht dazu bei, Mut zum Gegenhandeln und Hoffnung auf Veränderung zu verstärken. Kritiker und Befürwörter der Globalisierung haben nicht selten eines gemeinsam: Sie zeigen keine Alternativen auf. Dass es Alternativen gibt und die „kreativen Kräfte des Wandels“ wachsen, zeigt in beeindruckender und mutmachender Weise das Buch Projekte der Hoffnung.

Anläßlich des 25 jährigen Bestehens des Alternativen Nobelpreises haben Peter Erlenwein und Geseko von Lüpke spannende Texte und Interviews mit „Ausblicken auf eine andere Globalisierung“ zusammengestellt. Darin berichten Träger des Preises über erfolgreiche soziale und ökologische Projekte. Auch kritisieren Vordenker das kapitalistische Weltbild, das in seinem starren Denken mehr an das Mittelalter erinnert, als es uns lieb ist. Treffend bringt diese traurige Erkenntnis der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, auf den Punkt. Er berichtet über das Schaubild des Ex-Wirtschaftsministers unter Clinton, Lawrence Summers. In diesem Schaubild sei die Natur als ein Subsystem der Wirtschaft eingezeichnet gewesen. Diese Vorstellung „ist eigentlich noch absurder als der Glaube, dass die Erde flach ist“.

Diese Infragestellung unseres von wirtschaftlichen Aberglauben durchsetzten Weltbildes mit fatalen Folgen für alle Menschen, wird von Hans-Peter Dürr in dem Aufsatz „Das moderne holistische naturwissenschaftliche Weltbild“ vertieft. Der Quantenphysiker und ehemalige Direktor des Max-Planck Instituts für Astrophysik zeigt ausgehend von den Erkenntnissen der Quantenphysik die Grenzen unseres Denkens auf. Die Quantenphysik zeige, dass Leben, Natur, Universum sich nicht auf stabile, objektiv beschreibbare Einheiten zurückführen liessen, die anhand von Modellen zu verewigen wären. Evolution basiere nicht auf dingliche, sondern auf „kreative Prozesse“, Lebendigkeit sei „dynamisch stabilisierte Instabilität“, in der die rieisige Potenzialität und die scheinbar unerschütterliche Stabilität der Natur kein Widerspruch sind. Hans-Peter Dürr bringt es weit besser zum Leser:

In dieser modernen Quantenwelt gibt es keine Materieteilchen, die zeitlich mit sich selbst gleich bleiben. Es entstehen und vergehen Dinge, es gibt echt kreative Prozesse: Etwas entsteht aus dem Nichts und vergeht im Nichts. Und wenn ich sage echt kreative Prozesse, dann heißt das, wir dürfen nicht mehr die Vorstellung der „Evolution“ in ihrer ürsprünglichen Bedeutung verwenden. Wir haben ein neues Bild von der Welt, in dem sich die Schöpfung nicht in der Zeit entwickelt, sondern: In jedem Augenblick ereignet sich die Welt neu – aber mit der ‚Erinnerung‘ wie sie vorher war. Das heißt, sie wird nicht total anders, sondern sie ähnelt der Welt, wie sie vorher war.

Hans-Peter Dürr ist davon überzeugt, dass „die Grundlage der Welt nicht materiell, sondern geistig“ sei. Wissenschaftliche Objektivität gegenüber dem Lebendigen wäre somit eine geistige Sackgasse. Die „Isolation und Fragmentierung“ der Natur führten zur Spaltung von Mensch und Natur. Erst das „Paradigma des Lebendigen“ überwinde diese Spaltung. Erst wenn wir wieder die „Natur als Lehrmeister“ begreifen, anstatt uns borniert und anmassend zum Lehrmeister der Natur zu machen, wird es eine Wende im globalen Wirtschaften und Verbrauchen geben können. Deshalb sind Dürrs Thesen so wichtig, auch wenn sie nicht einfach zu verdauen sind und wir uns erst an sie gewöhnen müssen.

Somit ist dieser Aufsatz ein guter Einstieg für das Weiterlesen im Buch. Die vorgestellten Denker und Aktivisten zeigen, dass sich ein Kampf gegen den Goliath Wachstum und Liberalisierung lohnt. Sie zeigen, dass wir endlich anfangen müssen, von traditionellen Gesellschaften und anderen Gemeinschaften zu lernen, anstatt die kulturelle Vielfalt und den Erfahrungsschatz der Menschen zu zerstören. Das ewige Argument, dass unserer technisch zentriertes Wachstum mittel- und längerfristig effizient seien und die Lebensqualität erhöhten, verliert seinen Glanz.

In dem Interview „Was wir brauchen, ist Vielfalt!“ zeigt die Aktivistin und Verfechterin für Dezentralisierung Helena Norberg-Hohge den Wahnsinn unseres Wirtschaftssystem auf, das alles andere ist, aber nicht effizient. Am Beispiel der Zahlen, dass die USA 900.000 Tonnen Fleisch ausführe und fast die gleiche Menge einführe, dass Großbritannien 100.000 Tonnen Milch importiere und ungefähr 100.000 Tonnen exportiere, wird nicht nur der politisch gewollte Subventionspoker deutlich. Es wird auch der Blick darauf gelenkt, warum Lebensmittel aus der Region nicht selten deutlich teurer sind, als welche, die über 10.000 Kilometer transportiert wurden (mit oft fatalen Folgen für bäuerliche Gesellschaften in Afrika und Asien). Im Hinblick auf den Klimawandel und die Zerstörung ganzer Gemeischaften kann hier niemand mehr von vernunftbegabter Überlegenheit sprechen. Der Mythos von der ewigen Steigerung der Lebensqualität durch technischen Fortschritt scheint sich in den Industriegesellschaften in den letzten 25 Jahren nicht zu bestätigen. Im Gegenteil: Krankheiten und Arbeitsdruck haben zugenommen, das Lohnniveau ist gesunken, die Arbeitszeiten gestiegen.

Nun geht es in dem Buch nicht in erster Linie um die Probleme und die Zerstörungskräfte der westlichen Welt. Es geht um erfahrungsreiche Projekte zum Beispiel in Ländern, die bis heute an den Folgen der Kolonisierung zu leiden haben und deren Rohstoffe und Wissen von Konzernen und korrupten Diktatoren und Warlords, ausgebeutet werden. Eines der erstaunlichsten und erfolgreichsten Projekte ist das der aus Kenia stammenden und mit dem Alternativen und dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Biologin Wangari Maathai. Sie gab die Initialzündung für die Greenbelt Movement, die in den letzten 25 Jahren über 30 Millionen Bäume pflanzte und so in dem ostafrikanischen Land der drohenden Versteppung entgegenwirkte und vielen Menschen ein Auskommen ermöglicht. In dem Interview „Wer den Weg kennt, wird nicht müde!“ erzählt sie spannend und glaubwürdig, wie die Bewegung das Umweltbewusstsein und das politische Handeln der Menschen verändert hat und das Selbstbewusstsein der Frauen stärkte, die die lebenswichtigen Bäume pflegen.

Fazit: Ein wichtiges und spannendes, ein anregendes und zum Staunen bringendes Buch, das engagierte und mutige Menschen und ihre Projekte vorstellt. Alle Geehrten haben eines gemeinsam: Ein würdiges, ziviles und umweltbewusstens Leben weltweit zu erreichen und die Überzeugung, dass es sich lohnt, dafür einzustehen.

Projekte der Hoffnung. Der Alternative Nobelpreis: Ausblicke auf eine andere Globalisierung, hrsg. von Geseko von Lüpke und Peter Erlenwein, oekom Verlag München, 2006.

Infolinks zum Buch und den besprochenen Themen

Thematik: Buch und Film,Globalisierung . .

1 Kommentar

  • 1. Konsumblog.de » Ext&hellip | 24.04.08 um 12:05

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