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Konsum, Alltag und Globalisierung

Interview: Die Moral des Kunden und was er braucht

18. März 2006 um 15:57 von Ralph

Bernhard Pötter, Autor des Buches König Kunde runiniert sein Land, findet klare Worte über Verbraucherversagen und Verbraucherinteressen, über das, was wir mit unserem Geld anrichten und über nachhaltigen Konsum.

Konsumblog: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, König Kunde die Leviten zu lesen?

Bernhard Pötter: Mein Buch ist ein Ergebnis von mehr als zehn Jahren, die ich als Umweltredakteur bei der “tageszeitung” (taz) gearbeitet habe. Da war ich auch zuständig für Verbraucherthemen. Und habe immer wieder Meldungen ins Blatt gebracht, die sinngemäß hießen: Eine Mehrheit der Deutschen wünscht spritsparende Autos, 70 Prozent der Menschen wollen Bio-Lebensmittel und jeder dritte Deutsche überlegt sich, zu einem Öko-Stromanbieter zu wechseln. Ein paar Wochen später habe ich dann gemeldet, dass VW seinen 3-Liter-Lupo oder den Spar-Audi vom Markt nimmt, weil ihn keiner kauft, dass der Absatz von Bio-Lebensmitteln in der Nische bleibt und dass nur jeder 125.deutsche Haushalt zu einem Öko-Stromanbieter gewechselt ist.

Diese Diskrepanz hat mich zunehmend irritiert. Dazu kam dann, dass ich bei Umweltverbänden, Verbraucherschützern und Politikern dieses Problem angesprochen habe – und niemand wollte sich da rantrauen. Alle waren hinter vorgehaltener Hand der Meinung, das sei ein großes Problem, aber “das ist eine Kampagne, die wir nicht gewinnen können”, hieß es etwa von den Umweltschützern. Also gab es ein Problem und die Weigerung, sich dieses Problems anzunehmen. Und als ich wieder mal im Erziehungsurlaub war und ein bisschen freie Zeit hatte, habe ich das Thema rausgekramt. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass die Recherchen dann doch so aufwendig werden würden.

Konsumblog: Wie sieht der Steckbrief des deutschen Verbrauchers aus?

Bernhard Pötter: Der deutsche Verbraucher ist eine Verbraucherin. Denn die allermeisten Entscheidungen im Haushalt werden – Gleichberechtigung hin oder her – von den Frauen gefällt. Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn Frauen achten deutlich mehr auf ökologische und soziale Folgen ihres Konsums, fragen nach anderen Merkmalen als nur dem Preis. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Frauen sich dann doch anders entscheiden – etwa, weil ihre Männer verlangen, viel öfter Fleisch zu essen als die Frauen es gut fänden. Und die Untersuchungen – das Umweltbundesamt hat hier umfassende Daten erhoben – haben auch ergeben, dass Frauen wahrscheinlich auch deshalb bewusster konsumieren, weil sie schlicht weniger Geld haben als die Männer.

Ansonsten gibt es interessante Durchschnittswerte für den deutschen Verbraucher: Er lebt in einem Haushalt mit drei Personen auf 80 qm, das Nettoeinkommen beträgt zwischen 1500 und 2000 Euro. Das Auto der Familie hat 53 PS, eine Bahncard gibt es nicht, man fährt oder fliegt zweimal im Jahr ins “weitere europäische Ausland”. Der Vater besitzt 12 bis 15 Paar Schuhe, einen PC und drei bis vier Heimwerker- oder Sportgeräte. Einmal im Monat gibt es Bio-Lebensmittel, einmal pro Woche ein Essen im Restaurant, 11 Prozent des Einkommens werden gespart.

Aber Vorsicht: All das sind Durchschnittwerte. In Wirklichkeit gibt es ganz verschiedene Konsummilieus und ganz verschiedene Konsumsituationen. Da gibt es die postmateriellen “Überzeugten”, denen der ökologische und soziale Mehrwert ihrer Einkäufe wichtig ist, die “Anspruchsvollen”, die sich etwas leisten wollen, die “50plus Gesundheitsorientirten”, die “distanziert Skeptischen” oder die “jungen Unentschiedenen”. Und jeder von uns kennt den Schnellkauf, den irrationalen Frustkauf, das wohlüberlegte Investment und weitere Situationen, die uns ganz anders als gedacht entscheiden lassen. Das macht die Betrachtung des Konsums nicht leichter.

Konsumblog: Was sind aus Ihrer Sicht die folgenreichsten Beispiele für Verbraucherversagen?

Bernhard Pötter: Das Schlimmste ist wohl, dass wir teilweise über sehr viele Informationen verfügen, sie aber nicht umsetzen. Wir wissen, wie es in der Massentierhaltung aussieht, wir wissen, wie knapp die Ressourcen sind und wie aktuell der Klimawandel ist, wir wissen, wie Lidl und Aldi mit ihren Zulieferern und Mitarbeitern umspringen – und wir kaufen trotzdem in der Regel das Billigschnitzel, den schnellen Wagen, den dreckigen Strom. Mich selbst hat erstaunt, wie durchgängig diese Kluft zwischen dem eigenen Anspruch an ein verantwortungsbewusstes Konsumverhalten und der Realität ist. Man kann das Verbraucherversagen nachweisen bei den Bereichen Lebensmittel, Verkehr, Energie, Tourismus, Investment, Hausbau und Haushalt, soziale Aspekte des Konsums. Da bleibt eigentlich nicht mehr viel übrig.

Es ist wichtig, sich nicht gegen die Verbraucherschützer ausspielen zu lassen in diesen Fragen. Selbstverständlich sind alle Forderungen nach mehr Transparenz von Produkten und Verfahren völlig richtig und unterstützenswert. Natürlich müssen Verbraucher besser erkennen können, was wo drin ist und was woher kommt. Die Banken zum Beispiel beraten praktisch überhaupt nicht zum Thema ethisches Investment. Aber all diese Vorwürfe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bisher niemandem eingefallen ist, sich bei dem Thema mal kräftig an die eigene Nase zu fassen.

Konsumblog: Sie arbeiten mit Wendungen wie die “globale Veranwortung im Supermarkt” und die “transnationale Verbraucherklasse” Was bedeuten sie?

Bernhard Pötter: Wer wie ich auf dem Wochenmarkt ein Kilo Birnen aus China für einen Euro angeboten bekommt, der muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu wissen: Hier ist was faul. Für dieses Geld können bei Produktion und Transport dieser Birnen nie und nimmer die Sozial- und Umweltstandards eingehalten worden sein, die wir selbst bei uns gern hätten. Unsere Pflicht als Verbraucher ist es, darüber Bescheid zu wissen, was wir mit unseren Nachfrageentscheidungen, mit unserem Geld anrichten: Welche Produkte und Unternehmen fördern wir, woran wirken wir mit, wem drehen wir den Hahn ab? Diese Informationen sind nicht schwer zu bekommen. Man kann sich nach den nationalen und internationalen Bio- oder Transfair-Siegeln richten. Und man kann mit einen oder ein paar wenigen Produkten anfangen, wenn man vor der Komplexität seiner Alltagsbesorgungen verzweifelt.

Die “transnationale Verbraucherklasse” ist ein Begriff, den das Wuppertal Institut in seinem extrem lesenwerten Buch „Fair Future“ eingeführt hat. Es bedeutet, dass wir mit unserer Art zu leben und zu konsumieren Teil einer globalen Klasse sind, die sich nicht nach Staaten oder Religionen sortiert, sondern nach dem, was und wie sie kauft. Die Unternehmerfamilie aus China hat mit dem Zahnarzt in Venezuela mehr gemein als mit den Bauern vor der eigenen Haustür. Sie kaufen die gleichen Produkte von Sony, BMW und Coca Cola und träumen die gleichen Konsumträume. Unser Modell des verschwenderischen und ressourcenintensiven Konsums, der sich nicht darum schert, woher seine Rohstoffe kommen und wie seine Abfälle entsorgt werden, ist das Modell, dem alle aufstrebenen Mittelschichten der Welt nacheifern wollen. Da ist es einsichtig, dass wir damit ein großes Problem haben und das Problem ständig größer wird.

Konsumblog: Eine Königsdisziplin von echtem Umweltschutz ist “nachhaltiger Konsum”. Warum und was ist das im Kern?

Bernhard Pötter: “Nachhaltig” ist ein Begriff, der aus der Forstwirtschaft kommt und dort auch jedem nachvollziehbar ist. Ein Wald wird nachhaltig bewirtschaftet, wenn man nicht mehr Bäume schlägt als nachwachsen. Übertragen heißt das: Nachhaltiges Wirtschaften lebt vom Ertrag und nicht von der Substanz: Ressourcen müssen erneuerbar sein, man kann nicht heute die Rente von morgen verfrühstücken. Nachhaltiger Konsum wiederum zielt darauf, dieses System auch beim täglichen Verbrauch anzuwenden. Also: Man achtet darauf, dass die Produkte und Dienstleistungen, die wir nachfragen, möglichst im Einklang mit Natur und sozialer Umwelt gefertigt worden sind. Ein Spielzeug, das bei der Herstellung keine Gifte abgegeben hat, dem Hersteller einen fairen Lohn garantiert, das aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und mit dem alle meine Kinder möglichst lange spielen, ist deutlich nachhaltiger als der giftige Plastikmüll, der mit tränenden Augen in Fernost zu Billigstpreisen gefertigt wird, nur um hier nach dem dritten Versuch kaputt zu gehen und als Sondermüll auf der Deponie zu landen. So einfach ist das.

Konsumblog: Und was zeichnet nun einen mündigen Konsumenten aus?

Bernhard Pötter: Wie gesagt: Dass er weiß, was mit seinem Geld passiert – oder sich zumindest ansatzweise dafür interessiert. Dabei ist es wichtig, die Kirche im Dorf zu lassen. Niemand kann alles richtig machen. Aber man kann damit anfangen. Und man kann mit den Dingen anfangen, die niemandem weh tun, sondern das Leben sogar einfacher und schöner machen: Niemand kann etwas dagegen haben, seine Autoreifen richtig aufzupumpen und defensiv zu fahren, um bis zu 30 Prozent des Sprits zu sparen. Heute gibt es überall Energiesparlampen, die das gleiche Licht zum geringeren Preis liefern. Und wer sich beschwert, dass Biofleisch zu teuer ist (und nicht sieht, dass konentionelles Fleisch zu billig ist), der kann einfach weniger Fleisch essen und seinen Geldbeutel genau so belasten – und dabei noch was für seine Gesundheit tun. Wer damit anfängt, wird bald merken, dass ein verantwortlicher Umgang mit dem eigenen Verbrauch witzig und lohnend sein kann. Und bekommt vielleicht Appetit auf mehr.

Konsumblog: Sie haben sehr schön herausgearbeitet, dass die etablierten Organisationen für Umwelt- und Verbraucherschutz uns Konsumenten in der Regel mit Samthandschuhen anfassen. Warum tun sie das?

Bernhard Pötter: Weil wir die Wähler und Spender sind, auf denen ihre Macht beruht. Niemand beleidigt gern seinen Mäzen. Es hat aber auch noch andere Gründe. In der Tat ist der Verbraucher ja lange und heute noch eine schützenswerte Spezies. Es ist also völlig in Ordnung, wenn Verbraucherschützer die Vebraucher schützen. Sie sollten sie eben nur ab und zu auch vor sich selbst schützen. Dazu kommt aber auch noch ein Problem der Perspektive. Die Umweltbewegung ist groß geworden im Kampf gegen “die anderen”, die das Kraftwerk bauten und Flughäfen planten. Politik und Industrie waren bald (völlig zu Recht) im Visier der Ökos. Die Frage danach, wer den Strom eigentlich verbraucht und wer in den Flieger steigt, für den die Startbahn gebaut wird, ist fast verdrängt worden.

Konsumblog: Sie fordern eine kleine wendige Organistion, die ComsumerWatch betreibt. Was müsste sie können und leisten, um erfolgreich zu sein?

Bernhard Pötter: Es geht nicht um den Namen. “ConsumerWatch” ist eine Bezeichnung für die Idee, aus der Starre gegenüber den Verbrauchern herauszukommen und aktiv uns allen immer wieder auf die Füße zu treten. Eine solche Gruppe müsste mit frecher, aggressiver Werbung, mit direkten Aktionen und Kongressen, mit Fernsehspots und allem, was die sozialen Protestformen seit 30 Jahren ausgebildet haben, den Menschen ihre Pflichten als Konsumenten in Erinnerung rufen. Dabei sollten sie immer witzig und selbstironisch bleiben und den moralischen Zeigefinger nicht heben, sondern auf die eigene Moral der Kunden verweisen.

Konsumblog: Gibt es bereits Bestrebungen eine solche Organisation, die den Konsumenten in die Pflicht nimmt und den Verbraucher mit seinen zerstörerischen Verhaltensweisen konfrontiert, zu gründen?

Bernhard Pötter: Das Buch ist ja gerade erst erschienen. Ich warte mal ab, welche Kreise es jetzt zieht. Es gab ein paar Anfragen, wie man sich eine solche Organisation vorzustellen hätte, aber bislang ist nichts Konkretes daraus erwachsen.

Konsumblog: Zuguterletzt die Frage: Wie ist die Resonanz auf Ihr Buch bisher. Bewegt sich was?

Bernhard Pötter: So etwas ist ja eigentlich nicht zu messen. Ich bekomme allerdings eine Menge Rückmeldungen, überwiegend positiv, viele Interviewanfragen, die zeigen, dass das Thema Konsum und Konsumkritik durchaus gesehen wird. Letztens habe ich mein Buch beim Wuppertal Institut vorgestellt, im Sommer wird es ein paar Kongresse und Vorlesungen geben. Wir reden hier aber natürlich von langfristigen Prozessen. Aber ich bin da optimistisch: Der Grüne Punkt hat aus der Wegwerfnation Deutschland die Weltmeister im Mülltrennen gemacht – für keine andere Belohnung als das gute Öko-Gewissen. Unter meinen Freunden gibt es viele, die jetzt sagen, das mit den Energiesparlampen hätten sie immer schon vorgehabt und jetzt endlich gemacht. Und mein Bruder hat mir zugesichert, ab jetzt nur noch Dinge zu kaufen, die er wirklich braucht. Wenn das kein Erfolg ist.

Konsumblog: Vielen Dank für das Interview

Bernhard Pötter, 39, Amerikanist und Buchautor. Arbeitete – seit 1993 – mehr als 10 Jahre als taz-Redakteur. Nutzte unter anderem einen Erziehungsurlaub, um mit dem Buch König Kunde runiert sein Land anzufangen.

Thematik: Buch und Film,Konsumkritik . .