Konsumblog.de

Konsum, Alltag und Globalisierung

G8-Fazit: Aufatmen und blitzschnelle Gegenöffentlichkeit (Update)

9. Juni 2007 um 19:29 von Ralph

Das ist ein Grund zum Aufatmen: Es gab nach der Gewalt in Rostock und bei den Blockaden rund um Heiligendamm keine Eskalation, kein zweites Genua. Auch wenn die Polizei in Rostock und um Heiligendamm punktuell gewalttätig gegen Demonstranten vorging und sie in Käfige einsperrte, auch wenn es nach Sachlage realistischer wird, dass die Polizei mit Hilfe von Polizeiprovokateuren die Gewalt in Rostock erst anstachelte, die G8-Kritiker haben sich ihr Recht auf zivilen Ungehorsam und Widerstand nicht nehmen lassen.

Die zum großen Teil sehr jungen Globalisierungskritiker haben sich erfolgreich gegen die Einschränkung ihrer demokratischen Rechte gewehrt und sind in die „verbotene Zone“ bis zum „Sicherheitszaun“ vorgedrungen. Sie haben friedlich, mutig und hartnäckig Straßen blockiert, haben trotz massiver Behinderungen seitens der Polizei ihre Camps aufgebaut und halten können, haben sich durch die massive und auch gewaltbereite Polizeipräzenz nicht den Mut zum Protest nehmen lassen und konnten sogar Sympathien bei den Anwohnern gewinnen, weil die Menschen vor Ort u.a. erlebt haben, dass es eben keine „gewaltbereiten Chaoten“ sind.

Am 2. Juni sah es dagegen düster aus um die G8-Proteste. Blogger wetterten wütend und empört über die Gewalt des „schwarzen Blocks“, der „Autonomen“ und „linken Chaoten“, manchmal so wie es die BILD nicht hätte besser tun können. Ich war erstaunt wie schnell der Sündenbock ausgemacht war, blieb aber skeptisch. Ich habe mit der Bereitstellung von aktuellen Linksammlungen kurz nach dem WTC-Anschlag und vor Beginn der Angriffskriege gegen Afghanistan und den Irak 2003 gelernt, das ein Teil der Online-Presse sich hochzieht an Gewalt, anstatt zu informieren, zu recherchieren und zu hinterfragen.

Selbst ein skeptischer und gebilderter Blogger wie der Spiegelfechter gab nach kurzer Zeit selbstkritisch zu, dass er sich durch die Gewaltberichterstattung der Medien beeinflussen lassen habe in seinem Urteil über die Gewalt in Rostock. Insgesamt war der Spiegelfechter für mich in den letzten Tagen das ergiebigste Weblog in Sachen G8-Protest und Medien, zumal dort eine lebendige kleine Community die Artikel mit weiterführenden Links und Kommentaren fütterte (die Links sind unten).

Die Blogosphäre wäre nicht die Blogosphäre, wenn nicht ihre aufmerksamsten Akteure blitzschnell als Korrektiv der etablierten Online-Presse auftreten würden. So wurde zum Beispiel die DPA-Falschmeldung – BILD-Kurzfassung: „Wir müssen den Krieg in diese Demo tragen“ – im Weblog des Spiegelfechters als Falschmeldung entlarvt und Stefan Niggemeyer schrieb bereits knapp 3 Tage später – solange brauchte die DPA, um die Meldung zu korrigieren – die Chronlogie einer Falschmeldung. Sie zeigt traurigerweise, wie unkritisch und unreflektiert die etablierten Medien arbeiten. Sie zeigt zudem, was sich nun in den Köpfen der Menschen, die sich nur oberflächlich informieren, über den Rostocker 2. Juni 2007 gefestigt haben dürfte. Insgesamt dienen die „Krawalle“ nun den demokratiefeindlichen Kräften in den Parteien und im Staat als Vorwand, um linken Widerstand offensiver zu kriminalisieren, wie ein Spon-Artikel vom 9. Juni vermuten läßt: Regierung will Autonome stärker überwachen.


foto-welt03.jpg

Ich weiss nicht, wie das andere Blogger wahrnehmen, die in den letzten Tagen gegen die etablierten Medien und ihren „gewaltgeile“ Berichterstattung angingen, aber ich hatte das Gefühl, dass das kritische Infragestellen der Blogger zumindestens Spiegel online wieder auf einen sachlicheren und ausgewogeneren Weg brachte.

Insgesamt bewerte ich die Berichterstattung von Spiegel online, Netzeitung, Focus.de, n-tv, Welt, NDR gerade in den ersten Tagen als manipulativ, sensationsheischend und unsachlich. Jens Berger hat das in seinem Text MedienGAU Rostock sehr kompakt auf dem Punkt gebracht. Allein die Headlines und gewählten Fotos suggerierten in den ersten Stunden der Gewalt in Rostock Eskalation in einer Weise, die nicht nur mich vermuten liess, dass man sich die Eskalation sehnlichst wünsche. Der Zynismus der Redakteure und Journalisten wurde später in nicht wenigen Weblogs als solcher erkannt und es wurde dagegen angeschrieben und kommentiert.

Auch wenn aus meiner Sicht nur ein kleiner Teil der Blogosphäre an der Herstellung einer blitzschnellen „Gegenöffentlichkeit“ teilnahm, wer sich aber über diesen Teil des Webs informierte, war sehr schnell über die dreistesten Manipulationen auf dem Laufenden: Ich erinnere an die angebliche Herstellung von Molotow-Cocktails, an die Diskussionen, Bilder und Videos, die Polizeigewalt aufdeckten und verdeckte Ermittler und Polizeiprovokatuere in Rostock und bei den Blockaden dokumentierten. Thematisiert wurden auch die „Gefangenensammelstellen“ und unwürdige Behandlung der festgenommenen Demonstranten, zudem der Einsatz von Feldjägern, der die Frage aufwarf, ob die Bundeswehr illegal eingesetzt würde. Ein Höhepunkt kursierender Falschmeldungen war der Vorwurf, dass die „Rebel Clown Army“ „chemische Flüssigkeiten gegen Polizisten“ eingesetzt haben soll, wie das DDP und NDR anfänglich verbreiteten, wobei der NDR das still und heimlich zurücknahm. Die Polizei machte die Meldung „glaubwürdig“, in dem sie von 8 Beamten sprach, die im Krankenhaus behandelt werden müßten.

Ich sprach oben vom Aufatmen, da die Gewalt nicht eskaliert ist. Das haben wir nicht dem Staat, sondern den Demonstranten zu verdanken. Nach dem ersten Aufatmen fängt die eigentliche Arbeit für alle demokratischen Kräfte erst an. Denn es geht nun darum, die Polizei für Rechtsbeugung, Gewalt und Provokation zur Verantwortung zu ziehen, es geht um Klagen gegen die Polizei, aber auch um weitere Berichte und Informationen aus der Blogosphäre.

Das ist ein Grund für mich, weitere Links unter diesem Artikel vorzustellen, wobei sich die ersten an diejenigen Leser richten, die die letzten 7 Tage nicht verfolgt oder sich nur über die etablierten Medien informiert haben. Schön wäre es, wenn der geneigte Leser diese Links in den Kommentaren erweitern würde, wenn sie Neuigkeiten hergeben. Ich denke, es wird in den nächsten Wochen noch einiges ans Tageslicht gefördert werden, was das Ausmaß repressiven staatlichen Handelns sichbar macht.

Update: Erfreulich: Grüne und Linkspartei wollen das Vorgehen der Polizei während des G-8-Gipfels untersuchen lassen, während die Polizei auf einer Pressekonferenz sich ganz toll findet. Und GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg lobt seine „übermenschliche“ Polizei in höchsten Tönen: „Unsere erfahrenen Einsatzkräfte wissen am besten, wie friedliche Demonstrationen zu schützen und kriminelle Gewalttäter aus dem Verkehr zu ziehen sind.“

Weiterführende Links

Thematik: G8 2007 . .

9 Kommentare

  • 1. . segert.net weblog .&hellip | 10.06.07 um 00:19

    Wessen Gewalt sie fressen…

    In den letzten sieben Tag ist das Gespenst des linken Gewalttäters medienwirksam von Politikern und den großen Medien beschwört worden (es finden sich auch Wissenschaftler, die Autonome mit dem Mob vergleichen, einer Figur der vorindustr…

  • 2. somlu | 10.06.07 um 09:32

    „Blogger wetterten wütend und empört über die Gewalt des “schwarzen Blocks”, der “Autonomen” und “linken Chaoten”, manchmal so wie es die BILD nicht hätte besser tun können. Ich war erstaunt wie schnell der Sündenbock ausgemacht war, blieb aber skeptisch.“

    Hier unterschreibe ich mal, mit Ausrufezeichen und unterstrichen. Ich war ziemlich geschockt, dass die Distanzierung von den sogenannten „Chaoten“ so schnell und so unkritisch verlief. Quasi Reflexhaft. Ich habe mich schon gefragt, wie das so kommt und was da so verinnerlicht ist. Schließlich ist die Fokusierung auf gewalttätige Ausschreitungen durch die Medien und damit die Abwertung von kritischen Inhalten für Politk und Medien Tagesgeschäft. Es schreit einem doch nachgerade in Gesicht, dass im gegenwärtigen politischen Klima „gewaltbereite Chaoten“ der Politik in den Kram passen. Wie ich da irgendwo in meinem Blog auch schrieb, ist das doch nichts neues. Die Medien inszenieren gerne die Gewalt. Ein Vorgang der mir persönlich bewußt ist, seit ich dafür ein Bewußtsein haben konnte. Mich hat sehr erstaunt, dass dieses Wissen nicht viel verbreiteter ist.

  • 3. Denis | 10.06.07 um 12:04

    IMHO:

    Hat diese Form von „Protest“ (zum Sicherheitszaun vordringen, Straßen blockieren, Camps aufbauen, Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, Gaukler und Clowns, nackt über die Wiese rennen, usw.) überhaupt etwas bewegt bzw. verändert? Mit diesen ganzen Ressourcen die damit verbraucht wurden diesen „Abendteuer-Ausflug der Generation ?“ zu machen, hätte man besser eine alternative Partei, mit einem realistischen Programm gegründet.

    Wenn hinter dieser Anti-G8-Bewegung wirklich so viele Menschen stehen, würde man auch genug Wähler auf die Beine bekommen um politisch was bewegen zu können, wenn dann am Wahltag nicht wieder die „Null-Bock-Mentlität“ durchbricht. Schon komisch auf der eine Seite höre ich „keen Bock uff Arbeit“ aber wenn es darum geht die letzte Straße zu blockieren die als Rettungsweg gedacht ist, werden Bäume schneller herangeschafft als dies kanadische Holzfäller könnten.

    Das Fazit der G8-Woche sind G8 Beschlüsse die so geplant waren und über 100 Mio. Euro weniger in der Steuerkasse die jetzt woanders fehlen. Die Staatengemeinschaften sind inzwischen so wirtschaftlich und politisch miteinander verflechtet das man dies nicht mehr mit dem Protest der Bürger auf der Straße ändern kann. Die Demokratie entwickelt sich langsam aber sicher zu Oligarchie weiter!

    Interessant fand ich die „Selbstregulierung“ aller Medien in Kombination, ein großer Vorteil des Internets. Bleibt nur die Frage ob auch die 50 % der Haushalte mit Internet-Anschluss Abends im Web auch diese Nachrichten lesen, oder doch nur wieder auf der Suche nach einem Schnäppchen bei eBay sind und um 20:00 Uhr einfach die Tagesschau anschauen, auf dem Weg zur Arbeit die BILD Zeitung kaufen und weiterhin am Wahltag wie immer ihr Kreuz bei schwarz und rot machen?

    Ziemlich zynisch, oder?

    @Ralph: Schläfst Du überhaupt noch? Du musst ja schon blutige Finger von dem ganzen schreiben haben. Alle Achtung, hast wieder einmal eine erstaunliche Menge an Informationen zusammen getragen.

  • 4. Ralph | 10.06.07 um 13:00

    @Denis: Ich überlege, ob ich manches Weblog nicht aufgebe und mich aufs Aktionsbloggen konzentriere. Immer wenn bei einem heißen Thema die Öffentlichkeit besonders perfide desinformiert wird, lege ich los, um an einer kleinen Gegenöffentlichkeit im Netz mitzuarbeiten und die Vernetzung voranzutreiben, die z.B. dafür mitsorgt, dass diese Site hier so täglich von im Schnitt 20 bis 30 Menschen aufgesucht wird, die „Argumente gegen G8“ sowie Info zu „Feldjäger G8“ und „G8 Polizeigewalt“ suchen.

    „Ziemlich zynisch“? Wohl eher das, was man als den Alltag vieler Menschen bezeichnen könnte. Aber wer hätte noch vor einem Jahr geglaubt, dass so viele Jugendliche bereit sind, sich gegen ein Demonstrationsverbot zu wehren. Allein 13.000 Menschen sollen an den Blockaden teilgenommen haben. Das war für viele sicher eine Erfahrung fuers Leben und politische Sozialisation, die mehr als das Wahlkreuz und BILD kennt.

    @Somlu: Die Macht der Bilder, vor allem der Laufenden, da ist doch schnelle Empörung allemal einfacher als skeptisches Hinterfragen. Viele Leute denken wohl immer noch, das Fernsehen bilde die Realität ab, warum sollten Blogger davon verschont bleiben. Allein die beschämende Tatsache, dass nur eine kleine Minderheit, Bush (vor allem Bush), Blair und Putin als das benennen, was sie sind, nämlich zynische Kriegsverbrecher, die ins Gefängnis gehören und für die Macht alles ist und ein Menschenleben nichts, zeigt die verkehrte, manipulierte Wahrnehmung oder besser die Nicht-Wahrnehmung.

  • 5. Denis | 12.06.07 um 20:30

    Es wird immer besser, (wenn das simmt):
    „Tornado schoss im Tiefflug Bilder von G-8-Protestcamp“
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,d...
    Was kommt als nächstes?
    Panzergrenadiere kontrollieren Jogger und Wanderer im Schwarzwald?
    http://www.analogisch.de/temp/spzmarder.jpg
    Für die Bundesregierung muss wohl die Bedrohungslage am G8 Gipfel gleich wie die in Afghanistan gewesen sein?

  • 6. Ralph | 12.06.07 um 20:47

    Jau, ich verdaue das auch grad. Zynisch ist es, das als „Amtshilfe“ zu bezeichnen. Mit Verlaub, es ist zum KOTZEN.

  • 7. Denis | 12.06.07 um 21:28

    Unser aller Freund Georg B. ist ja inzwischen weiter gezogen, wo er auch gleich herzlich willkommen wurde. Äh Georg, wie viel Uhr haben wir gerade…? ;-)

    http://www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,488209...

  • 8. Ralph | 12.06.07 um 21:59

    Besser noch das, was die taz heute zitiert hat. Wenn Dummheit schreien könnte!

  • 9. Denis | 12.06.07 um 22:46

    „Yes, Sir“ zum Papst, der ist gut! ;-)