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Konsum, Alltag und Globalisierung

Symbol-Politik im Land der Raser und Drängler

19. März 2008 um 17:29 von Ralph

Politik im Sinne einer zivilen Gesellschaft kann so einfach sein, wenn man sie einfach machen wollte. In Deutschland ist einfache, das heißt wirksame Politik oftmals nicht erwünscht. Das zeigt die Weigerung, als einziges europäisches Land ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen (generelles Überholverbot für LKWs wäre die zweite vernünftige Maßnahme, gekoppelt mit hohen Strafen bei Vergehen). Statt mit Politik Fakten zu schaffen, flüchten sich Politiker wie Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee in symbolische Politik (eine Spezialität der Sozis) und beauftragen zur Erziehung des Autofahrers teure Werbekampagnen. „Runter vom Gas“ heißt die aktuelle Kampagne der Regierung, die bei Rasern für mehr Vernunft sorgen soll. Plakate, Kino- und Fernsehspots sollen die Sicherheit auf der Straße erhöhen, als ob mit Reklame die Rücksichtslosigkeit auf der Straße vermindert werden könnte. Das ist nicht nur lachhaft, sondern auch völlig realitätsfern.

Ich sehe jeden Tag aus dem Bürofenster, was viele von der Zone 30 halten. Da wird mal eben mit 70 km/h für eine Strecke von 200 Metern durchgerast, an der Rechts-vor-Links-Ecke kurz abgebremst und dann ab mit Schmackes in die Kurve. Das hier noch keiner totgefahren wurde, grenzt an ein Wunder, zumal hier doch recht viele Kinder unterwegs sind. Die rasende Gedankenlosigkeit betrifft aber nicht nur sich minderwertig fühlende und kleinwüchsige Männer im Porsche oder BMW, nein, auch die Oma im Mercedes Kompressor merkt nicht, dass sie mit zu hoher Geschwindigkeit in eine Kurve fährt und keiner, der zufällig auf der Straße stünde, noch eine Chance hätte. Ich kenne Familienväter, die sind sonst ganz nett, auf der Straße aber werden sie zu wütenden Idioten. Dass Wut auf der Straße ansteckend sein kann, weiss ich aus eigener Erfahrung. Ich bin auch nicht ein Musterknabe auf der Straße. Nicht weil ich zu schnell fahren würde (allein wegen des Verbrauchs fahre ich mit Lust sehr weitsichtig und ohne Hast), sondern weil ich mich von Dränglern und Kamikazefahrern zu leicht provozieren lasse.

Letztens hatten wir Besuch aus Kanada. Deutschland sei ganz nett, aber Autofahren mache hier keinen Spass, man fühle sich ständig bedrängt. In Finnland erzählte uns einmal eine Vermieterin, dass ihr Sohn in Deutschland sei und dass sie Angst um ihn habe. Nicht weil die Deutschen so böse seien, sondern wegen ihres aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr. Wer einmal in Neuseeland mit dem Auto unterwegs war, weiss, wie zivilisiertes, rücksichtsvolles Verhalten auf der Straße aussehen kann. Im Vergleich dazu ist hierzulande der Wahnsinn Verkehrsalltag. Politiker wie Tiefensee tragen dazu bei, diesen Wahnsinn zum Gefallen der Autoindustrie aufrechtzuerhalten.

Themenverwandter Beitrag: Umerziehung des Klimakillers Autofahrer

Thematik: Gesundheit,Protest & Kampagne . .

8 Kommentare

  • 1. Karl | 19.03.08 um 18:01

    Mir ist die Lust am Fahren auch schon lange vergangen. Autofahrer erinnern mich zunehmend an Lemminge.

  • 2. Horst | 19.03.08 um 18:57

    Bei uns in der Spielstraße ist das auch heftig. Wer da langsamer als 30 fährt wird gnadenlos überholt.

  • 3. Boris | 19.03.08 um 23:07

    Solange bei uns von Politik und Autoindustrie einmütig der „Leistungsgedanke“ als vorrangiges Motiv — für Produktqualität gleichermaßen wie für das Verhalten im Verkehr — propagiert wird, werden wir den Renn-Zoo aggressiver Primaten auf unseren Straßen nicht los.

  • 4. Neues von ralph segert &r&hellip | 19.03.08 um 23:48

    […] Auf dem Konsumblog steht dagegen wieder die traurigschaurige Wirklichkeit zur Diskussion. Ich stelle dort das äusserst lesenswerte Sachbuch Giftmüll macht schlank, das die mächtige PR-Industrie in den USA analysiert und lasse mich aus über die neueste Politkampagne aus dem dünnbrettbohrenden Verkehrsministerium namens “Runter vom Gas”: Symbol-Politik im Land der Raser und Drängler […]

  • 5. Marcus | 24.03.08 um 18:14

    Ich musste mich nach vier Wochen Australien auch erst wieder an die Verhaltensweisen auf deutschen Straßen gewöhnen.

    Man glaubt gar nicht, wie entspannend 110 km/h sein können, selbst wenn wahrlich genug Platz zum Rasen da wäre.

    Das Autofahren in Australien gehört deshalb – neben den atemberaubenden Landschaften natürlich – zu meinen schönsten Erinnerungen an diesen Urlaub.

  • 6. Webzettel » Zahlene&hellip | 4.04.08 um 19:40

    […] unterwegs, würden wir sicher nicht von einer großen Entfernungen reden. Mit deutscher Rasermentalität wäre sie in ein paar Stunden da. […]

  • 7. autoplakatierer | 16.04.08 um 18:39

    passt eigentlich besser zu „Umerziehung des Klimakillers Autofahrer“, aber hier findets vermutlich mehr LeserInnen und hoffentlich auch einige NachahmerInnen:

    http://www.klimaschweine.de.vu/

  • 8. Zahlenerlebnisse — Rata&hellip | 17.11.08 um 00:15

    […] unterwegs, würden wir sicher nicht von einer großen Entfernungen reden. Mit deutscher Rasermentalität wäre sie in ein paar Stunden da. […]