Konsum, Alltag und Globalisierung
11. Juni 2007 um 20:52 von Ralph
Interview mit Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag. Sie berichtet u.a über das eskalative Vorgehen der Polizei in Rostock und während der Blockaden bei Heiligendamm und die Entdeckung des „Schwarzen Blocks“ durch die Medien.
Konsumblog: Wie bewerten Sie das Vorgehen der Polizei auch im Hinblick auf Ihre Erlebnisse vor Ort? Was kritisieren Sie an der „Kalava“?
Ulla Jelpke: Man kann die Vorgänge in Rostock nicht isoliert betrachten. Die Polizei und die Bundesregierung haben schon im Vorfeld des Gipfels die Situation gezielt angeheizt. Durch das permanente Beschwören von Gewalt und durch die gezielte Repression gegen den radikalen, den Kapitalismus ablehnenden Teil der Bewegung wurde eine Stimmung geschaffen, die genau das Gegenteil von Deeskalation war.
Zu Beginn der Demonstration am 2. Juni hat sich die Polizei dagegen in der Tat zurückgehalten. Direkt nach den ersten kleinen Ausschreitungen ist diese Linie jedoch vollkommen gekippt, Einheiten der Polizei stürmten immer wieder auf den Kundgebungsplatz und verunmöglichten so, dass die Veranstaltung auf der Bühne fortgesetzt werden konnte.
In der Woche der Blockadeaktionen konnte von einer Deeskalationsstrategie keine Rede mehr sein. Kontinuierlich wurden im gesamten Gebiet um Rostock Personenkontrollen durchgeführt, schon das Mitführen von Funkgeräten oder Sonnenbrillen reichte der Polizei als Grund für eine Ingewahrsamnahme aus. Nach Schätzung des Anwältlichen Notdienstes erfolgten 95 Prozent dieser Ingewahrsamnahmen rechtswidrig und wurden richterlich aufgehoben. Bei den Blockaden selbst ging die Polizei teilweise äußerst brutal gegen alle Versammlungsteilnehmer vor und setzte Wasserwerfer auch gegen friedliche Versammlungen ein.
Skandalös war zudem die eskalative Pressearbeit der Polizei. Kontinuierlich wurden Falschmeldungen verbreitet, die allen Anschein nach das Ziel hatten, die Proteste in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dies begann mit der maßlosen Übertreibung der bei den Ausschreitungen am 2. Juni verletzten Polizisten. Während Polizeisprecher zuerst von über 40 schwer verletzten Beamten sprachen, bestätigte die Polizei Tage später Presseberichte, wonach lediglich zwei Polizisten stationär behandelt werden mussten. Auf der Grundlage der falschen Zahlen wurde jedoch in der politischen Landschaft wie wild über eine weitere Aufrüstung der Repressionsorgane debattiert, etwa den Einsatz der GSG 9 bei Demonstrationen. Die Clownsarmy, die aufgrund ihres fröhlich – antiautoritären Charakters in den Medien positive Resonanz hervorrief, wurde beschuldigt, Säure auf Polizeibeamte zu verschießen; Demonstranten sollen Kartoffeln mit Nägeln gespickt und an dem Blockadepunkt „Galopprennbahn“ Molotov-Cocktails gelagert haben. Alle diese Mitteilungen erwiesen sich im Nachhinein als falsch.
Durch die Pressearbeit wurde zudem nicht nur die Öffentlichkeit belogen, sondern auch die eingesetzten Polizeibeamten vor Ort in Panik versetzt. Ich denke es ist nur logisch, dass ein Polizeibeamter aggressiver agiert, wenn ihm zuvor erzählt wurde, Demonstranten würden versuchen ihn mit Säure zu beschießen.
Konsumblog: Am Freitag den 8.6. hat die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern den Einsatz eines eingeschleusten Zivilpolizisten bei einer Blockade „vor der Kontrollstelle Galopprennbahn“ bestätigt. Die Demonstranten werfen dem Zivilpolizisten Aufstachelung zur Gewalt vor. Die Polizei widerspricht und rechtfertigt den verdeckten Einsatz als „Bestandteil der Deeskalationsstrategie“. Das nährte Spekulationen, dass auch im „Schwarzen Block“ am 2. Juni in Rostock verdeckte Ermittler im Einsatz gewesen sein könnten, vielleicht auch als „Agent Provocateurs“. Was wissen und denken Sie darüber?
Ulla Jelpke: Ich selbst habe die Entlarvung des Provokateurs nicht persönlich erlebt. Allerdings ist die Szene ja sowohl von Journalisten als auch durch Anwälte des „Legal-Teams“ gut dokumentiert. Dass die Polizei zahlreiche Zivilpolizisten einsetzt, ist bekannt und wird auch offiziell zugegeben. Die in diesem Zusammenhang relevante Frage ist deshalb, ob diese Zivilpolizisten auch als „Agent Provocateur“ agieren, also versuchen, die Situation aufzuwiegeln und militante Auseinandersetzungen zu starten. Das Vorgehen ist aus zahlreichen Ländern bekannt und hat letzten Endes zum Ziel, die Bewegung in der Öffentlichkeit als gewalttätig darzustellen, sie so zu diskreditieren und gleichzeitig die staatliche Repression zu rechtfertigen.
Die Bundesregierung hat mir in einer Kleinen Anfrage zu den Polizeieinsätzen in Heiligendamm, die ich drei Wochen vor dem Gipfel gestellt habe, geantwortet, „Agent Provocateurs“ würden in Deutschland grundsätzlich nicht eingesetzt. Anscheinend kann man nun durch den Vorfall an der Galopprennbahn beweisen, dass exakt das Gegenteil der Fall ist.
Interessant an dem Vorfall ist auch, dass die dortige Blockade ausdrücklich ein deeskalatives und gewaltfreies Konzept hatte, auf das sich alle Teilnehmer zuvor verbindlich festgelegt hatten. Die Situation an der Blockade war auch die ganze Zeit über sehr entspannt. Sollte sich bewahrheiten, dass die Bremer Zivilpolizisten die Blockierer gezielt zu Gewalt aufgefordert haben, würde dies ein Eskalationsinteresse der Polizei belegen.
Ob Zivilpolizisten auch an den Auseinandersetzungen am Rande der Großdemonstration beteiligt waren, kann momentan nicht sicher bewiesen werden. Es gibt jedoch zahlreiche Videoaufnahmen und Berichte von Demonstrationsteilnehmern, die den Schluss nahe legen.
Konsumblog: Stichwort „Gefangenensammelstellen“. Der Republikanische Anwaltsverein hat das gesetzeswidrige Verhalten der Polizei kritisiert. So wurde den „Gefangenen“ der Kontakt zu Anwälten verweigert. Was wissen Sie über die Vorkommnisse in diesen Gefangenensammelstellen und wie bewerten Sie das Verhalten der Polizei?
Ulla Jelpke: In Rostock wurden in der letzten Woche zahlreiche Grundrechte ausgehebelt. Hierzu gehört auch, dass Rechtsanwälten zumindest in einer Gefangenensammelstelle der Zugang zu ihren Mandanten unter fadenscheinigen Gründen verwehrt wurde. Auch ist ein Fall bekannt, in dem ein Rechtsanwalt weggeprügelt wurde, als er bei einer Blockade den Namen eines Gefangenen erfahren wollte.
Über die Zustände in den Gesas ist ja mittlerweile zum Glück einiges an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Zustände entbehren jeglicher Beschreibung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Käfige eigentlich nur zur „vorübergehenden“ Unterbringung, von Gefangenen dienen sollten, Personen dort jedoch regelmäßig über zwölf Stunden festgehalten wurden, ist die Vorgehensweise mit menschenrechtlichen Standards unvereinbar.
Konsumblog: Gibt es Anzeichen, dass die Bundeswehr in Heiligendamm illegal eingesetzt wurde?
Ulla Jelpke: Die Bundeswehr hat bei ihrem Einsatz zum G8 Gipfel zahlreiche klassische Polizeiaufgaben übernommen. So erstellten Panzerspähwagen im Auftrag der Polizei Lagebilder, nach Berichten von Demonstranten kreisten auch Hubschrauber der Bundeswehr zu Aufklärungszwecken über den Blockaden. Die Bundeswehr hat damit direkt auf die Einsatzgestaltung der Polizei Einfluss genommen und so die „logistische Unterstützung“ und die „Amtshilfe“, die sie laut Art. 35 in Friedenszeiten leisten darf, weit überschritten. De facto haben wir demnach einen, wenn auch kleinen, Einsatz der Bundeswehr im Inneren erlebt, was eindeutig grundgesetzwidrig ist.
Konsumblog: Wie bewerten Sie die Berichterstattung der etablierten Medien wie Nachrichtensendungen, Presseagenturen und Online-Presse.
Ulla Jelpke: Die bürgerlichen Medien haben sich leider zu einem großen Teil auf die Meldungen der Polizei verlassen und diese unkritisch übernommen. Hierdurch kursierten auch die zahlreichen Falschmeldungen der Polizei als angebliche Fakten in der Presse.
Zudem kam es insbesondere bei der Großdemonstration am 2. Juni zu einer vollkommen verzerrten Darstellung der Ereignisse. Viele Berichte verzichteten auf eine sachliche Darstellung der Ereignisse und weckten den Eindruck bürgerkriegsähnlicher Zustände. Dies war jedoch, und mittlerweile wird dies größtenteils auch eingeräumt, definitiv nicht der Fall.
Konsumblog: Auf vielen Demos habe ich erlebt, dass mit „schwarzen Blöcken“ keine Gewalt eskalieren muss, wenn die Polizeiführung es nicht will. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es gerade jetzt in dem Ausmaß passiert?
Ulla Jelpke: Selbstverständlich muss die Situation nicht eskalieren, nur weil ein „Schwarzer Block“ an der Demonstration beteiligt ist. Auch wenn es so scheint, dass der „Schwarze Block“ gerade erst Eingang in die bürgerlichen Medien gefunden hat, existiert die Bewegung der Autonomen schon seit über 20 Jahren. Dennoch kommt es ja nicht kontinuierlich zu Straßenschlachten. Dass es auf der Demonstration am Samstag zu lang andauernden Auseinandersetzungen gekommen ist, lag aus meiner Sicht primär in der schon im Vorfeld massiv aufgeheizten Stimmung.
Konsumblog: Wenn Eskalation politisch gewollt wäre, wie kann man sich das naiv gefragt vorstellen? Hat Herr Schäuble mit der Polizeiführung in Heiligendamm ein geistiges Band gestrickt? Wären personelle Verstrickungen zwischen Politikern und Polizei aufzuspüren? Oder hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die mit den bundesweiten Razzien gegen G8-Protestgruppen am 9. Mai 2007 begann?
Ulla Jelpke: Ich denke, von allem etwas. Natürlich besteht von staatlicher Seite ein Interesse daran, zu einer Eskalation beizutragen. Sonst wäre schon im Vorfeld ganz anders agiert worden. Wegen des Abbrennens mehrerer Autos und dem Verüben von Farbanschlägen auf Häuser in verschiedenen Städten nahezu die gesamte Infrastruktur des radikalen Anti-G8–Spektrums zu durchsuchen, zeigt dies deutlich. Selbst ein Polizeipsychologe hat die Panikmache im Vorfeld des Gipfels massiv kritisiert. Dennoch hat sich insbesondere nach den Razzien auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Mit einer solch großen Empörung, die bis weit in das bürgerliche Lager hineinreicht, hatten die Sicherheitsbehörden anscheinend nicht gerechnet.
Konsumblog: Was werden und können Sie als Abgeordnete tun, um bei der Aufklärung polizeilicher Gewalt und Provokationen mitzuhelfen?
Ulla Jelpke: Natürlich versuche ich, polizeiliche Gewalt und Provokationen soweit es geht aufzudecken. Die parlamentarischen Kontrollinstrumentarien erweisen sich hierbei jedoch als relativ stumpf. Erstens liegt die Kompetenz weitgehend bei den einzelnen Bundesländern und zweitens zeigt sich die Bundesregierung bei diesem Thema sehr zugeknöpft.
Dennoch werden die Ereignisse um Heiligendamm ein parlamentarisches Nachspiel haben. Momentan bereiten wir mehrere Kleine Anfragen zu der Aussetzung der Grundrechte und dem Einsatz der Bundeswehr vor. Natürlich thematisieren wir die Geschehnisse auch in den entsprechenden Ausschüssen, zudem planen wir mit den Betroffenen eine Anhörung in der Fraktion.
Das wichtigste ist jedoch, die Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren und Übergriffe zu dokumentieren. Gerade bei den Blockaden um Heiligendamm hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Polizei bei gewaltsamem Vorgehen die Präsenz von Medien fürchtet. So berichten Medienvertreter, sie wären von der Polizei daran gehindert worden, die Räumung von Blockaden zu dokumentieren. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams ist deshalb ein offensives Umgehen mit den Medien oftmals sehr sinnvoll, da so die Hemmschwelle der Polizisten zur Anwendung von Gewalt steigt.
Konsumblog: Vielen Dank für das Interview.
Ulla Jelpke, die seit 1990 über die Landesliste Nordrhein Westfalen in den Bundestag gewählt wird, habe ich das erste Mal 2002 als engagierte Politikerin wahrgenommen. Sie setzte sich als eine der wenigen Politiker für das Bleiberecht der Roma in Nordrhein Westfalen ein, deren Protest wir über Monate in Düsseldorf und Essen mit der aktion roma unterstützt hatten.
Thematik: G8 2007 . .
5 Kommentare
1. neues aus der roiberhöhl&hellip | 11.06.07 um 22:59
[…] (Interview mit Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag) […]
2. neues aus der roiberhhle&hellip | 11.06.07 um 22:59
[…] (Interview mit Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag) […]
3. Konstanz | 11.06.07 um 23:53
Darf man in einer Demokratie den Kapitalismus überhaupt radikal ablehnen, ist das auch durch die Meinungsfreiheit gedeckt? Vor Jahren dachte ich noch im Vertrauen auf den Staat, aber seit dem 11. September wuchs die Skepsis. Die heraufbeschwörte Terrorgefahr plötzlich, die ganzen Gesetze und das was heute aktuell passiert und geplant ist an Gesetzen. Das alles zeigt mir persönlich, dass der Staat repressiver wird und entsprechend auch radikale Kritik zuerst „beobachten“ und dann verfolgen wird.
4. Tadeusz Szewczyk | 12.06.07 um 00:57
Bei der Frage: „Konsumblog: Stichwort “Gefangenensammelstellen”.“ fehlt die Unterscheidung zwischen Frager und Antwortende.
5. Ralph | 12.06.07 um 01:10
Ups, danke! War wohl einfach zuviel die Tage …
6. Tom’s Blog » &hellip | 14.06.07 um 16:05
[…] Unbelehrbare, die waren aber klar in der Minderheit. Wer das nicht glauben will, kann ja mal das das Interview mit Ulla Jelpke , der innenpolitischen Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag, […]