Konsum, Alltag und Globalisierung
23. Januar 2006 um 22:28 von Ralph
„Österreich verbietet Gentech-Raps GT73 und will während des EU-Vorsitzes die rechtliche Absicherung gentechnikfreier Regionen ebenso wie die Koexistenzproblematik thematisieren“ titelt Heise in der zweiten Überschrift zum Artikel „Die Ersten von morgen …„
Gentech-Befürworter und -Gegner konnten sich bis jetzt nur auf einen „politischen“ Minimal-Konsens einigen, den der „Wahlfreiheit“ des Verbrauchers, der in der Kennzeichnungsregelung von Lebensmitteln seinen Niederschlag fand, wenngleich es auch hier nach Meinung der Kritiker erhebliche Lücken gibt. Etwa, dass Produkte von Tieren, die mit Gentech-Futter hochgezogen wurden, nicht deklariert werden müssen.
Abgesehen davon wird sich jeder, der das Prinzip der Wahlfreiheit ernst nimmt, zwangsläufig auch der Frage nach der Kostenwahrheit stellen müssen. Denn wie eine EU-Studie vor einigen Jahren feststellte, ist Koexistenz in Europa zwar theoretisch machbar – aber nicht umsonst. Die Trennung von Warenströmen, zusätzlich erforderliche Maßnahmen zur Reinhaltung von Saatgut und Ernte, Risikoforschung, Laborkosten für Tests usw…. all das kostet. Wer aber kommt dafür auf? Werden diese Kosten von den potenziellen Anwendern grüner Gentechnik und der Gentech-Industrie getragen oder werden sie letztlich auf die Preise konventioneller und biologischer Ware aufgeschlagen?
Geschwafel von „verblendeten Ökoaktivisten“? Mitnichten. Man möge einen Blick auf die Stellungnahme der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) [Lobbyverband der Chemischen Industrie e.V. (VCI) und seiner Fachverbände] zum „Zweiten Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts“ werfen, in dem es u.a. heißt:
- Die Definition des Inverkehrbringens (§ 3 Nr. 6 GenTG) ist dahingehend klarzustellen, dass die Abgabe von Produkten mit Spuren von GVO aus genehmigten Freisetzungen kein Inverkehrbringen darstellt.
- Die Unterrichtung der Öffentlichkeit soll nur bei hinreichendem Verdacht auf Gefahr erfolgen (§ 28 a GenTG).
- Die Untersagungsbefugnisse für Naturschutzbehörden sind zu streichen, um die freie Verkehrsfähigkeit von genehmigten GVO zu bewahren. […]
Klaro. Persilscheine für die GVO-industrie, wer dagegen die Hand erhebt, ist rückständig und dumm. Folgerichtig gibt der Geschäftsführer des DIB zum Besten:
Die Anstrengungen, mit Hilfe gentechnischer Methoden die Ernährungssituation in den Entwicklungsländern zu verbessern, dienen dem Ziel, Leiden zu mindern. […]
Diese Möglichkeiten nicht zu nutzen, kann bei fehlenden Alternativen als unethisch angesehen werden.
Das erinnert mich doch stark daran, daß BASF damals mit Lindan ebenfalls die Welt retten wollte.
Thematik: Ernährung . .
Keine Kommentare
1. cat | 23.01.06 um 23:06
ja, das ist immer das totschlagargument: die ernährungssituation in den entwicklungsländern verbessern. und „leiden vermindern“.
wenns nicht so traurig wäre, könnt ich lachen.
tatsache ist, daß gerade genveränderte lebensmittel einem strikten patentrecht unterliegen. was bedeutet, daß die ungeheuer „reichen“ menschen in entwicklungsländern erstmal saftige lizenzgebühren für saatgut zahlen müssen…saatgut, welches sie vorher einfach aus der letzten ernte kostenlos zurückbehalten konnten.
d.h, die ernährungssituation _könnte_ vielleicht verbessert werden….wenn die konzernen auf ihre profite verzichten würden – was aber unvereinbar mit konzernen ist.
davon abgesehen, aber genauso problematisch ist die sogenannte „verbesserung“ der nahrungsmittel mittels gentechnik, mehr vitamine usw blabla; wieso kommt eigentlich jemand darauf, daß „natürliche“ nahrungsmittel nicht genau den bedürfnissen der menschen entsprechen könnten? die immerhin jahrhundertelang damit gut und gesund klargekommen sind?
„pimp my food“ auf reichlich suspekte weise.
2. Ralph | 24.01.06 um 13:26
Ich bin immer wieder erstaunt über diese dreiste und öffentliche Heuchelei! In Indien z.B. hat die Ernährung ganzer Regionen jahrhundertlang durch Kleinproduzenten funktioniert, jetzt machen EU-subventionierte Agrar-Produkte die Märkte dort kaputt und treiben die Bauern in den Ruin. Das ist natürlich nicht „unethisch“. Ein weiteres Beispiel ist: Gen-Baumwolle in Indien. Von wegen Fortschritt für die Bauern dort. Das Gegenteil ist der Fall: Verschuldung, Ruin und Verzweiflung. Dabei geht es auch anders, wenn man die so wahnsinnig ethischen Expansionen der Agrar- und Chemie-Konzerne beschränken würde: Reiche Ernte ohne Chemie.
Die Argumente der Gentech-Lobby sind leicht zu widerlegen, nur leider haben sie neben riesiger wirtschaftlicher Macht auch viel Meinungsmacht und zahlreiche Unterstützer in den Reihen der sog. „Volksvertreter“, die wiederrum eine zu große Präzens in den Medien haben. Es wundert nicht, dass es hier nicht mehr Widerstand gegen diese aggressive und für die Zukunft der Ernährung fatale Entwicklung gibt.