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Das bayerische Bildungs-Geschwür

27. Februar 2006 um 19:01 von Ralph

Wenn dieses Schuljahr zuende geht, mach ich drei Kreuze. Obwohl ich Atheist bin. Mein Sohn geht in Bayern in die vierte Klasse Grundschule. Was bedeutet, dass sich in diesem Jahr die Spreu vom Weizen trennen muss, so der Wille des bayerischen Kultusministeriums. Obwohl die Hohlmeier mittlerweile an ihrer Ich-krieg-meinen-Hals-nicht-voll-Mentalität politisch gescheitert ist, hat sich an der bayerischen 10%-Eliteformel nichts geändert. Im Gegenteil. Auslese zum Erbrechen:

Die Eignung für den Bildungsweg des Gymnasiums wird in einer zusammenfassenden Beurteilung festgestellt:
Wenn in der Jahrgangsstufe 4 der Durchschnitt aus den Jahresfortgangsnoten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde mindestens 2,33 (Gesamtdurchschnittsnote) beträgt, gleichzeitig der Durchschnitt in Mathematik und Deutsch mindestens 2,0 beträgt und das pädagogische Wortgutachten positiv ausfällt.

Ich weis nicht, ob Ihr richtig gelesen habt:
In Mathe und Deutsch jeweils ein Durschnitt von 2,0 !
Sind das noch Kinder oder Bildungsmaschinen? Mein Sohn hatte Anfang des Jahres in Deutsch (Dreifachnote) gleich mal ne 4 hingelegt, um sich mittlerweile wieder auf 1,87 im Durchschnitt vorzuschuften. In Mathe pendelt er so zwischen 2,0 und 2,49. Und das verdammte Jahr ist noch lange nicht vorbei. Ein intelligenter Junge, Sohn einer Ingenieurin, vom Vater beim Lernen unterstützt, mit einem von einer Psychologin bestätigten IQ im „Schlussfolgernden Denken“ von 132 und einem mitleren IQ von mindestens 120, soll es, falls Alles gut geht, gerade mal so mit Ach und Krach auf ein bayerisches Gymnasium schaffen? Das ist ein glatter Wahnsinn! Diese Bildungsmaschinen in Gestalt von 8-9 jährigen Kindern dürfen sich keinen einzigen schlechten Tag von ca. sagen wir mal 180 erlauben, sonst enden sie als normal intelligente Kinder auf der Hauptschule mit einem in negativer Form vorprogrammierten Lebenslauf. Obwohl gerade Mathe ein für das Übertreten auf Realschule oder Gymnasium wichtiges Fach ist, werden durch die Schule nur unzureichend Fördermöglichkeiten angeboten. Das scheitert doch massgeblich daran, dass die meisten Lehrer sich nicht bereit erklären am Nachmittag in der Schule zu bleiben, um allen Kindern gleichermassen eine Förderung zukommen zu lassen. Mein Sohn darf jedenfalls nicht in Fördermathe, er ist mit seinen 2,5 Durschnitt noch nicht schlecht genug. Die Wahrheit ist, die Lehrerin hat keinen Bock auf eine zweite Gruppe. Soviel zur Chanchengleichheit. Die Form der Schulproben wurde in Bayern, so mein Eindruck, gewaltig verschärft: eine Eins gibt es nur unter 2 Fehlerpunkten von etwa 36 bis 45 insgesamt, der Durchschnitt wird willkürlich erstellt, die Hälfte der Proben darf nicht besser sein als 3, der Umfang der meisten Proben nie weniger als drei volle Seiten, die Fragestellungen oft zweideutig oder missverständlich formuliert, die Zeit knapp bemessen. Hausaufgaben auch am Wochenende. Dabei sollen sich doch die Kinder ebenfalls in Allgemeinwissen bilden, ein Museum besuchen, ja die vielbeschworenen SoftSkills durch Musizieren, mein Sohn spielt Schlagzeug und Klavier und macht Golf und KickBoxen, oder ehrenamtliche Aufgaben formen. Wann denn?! Ich übe mich täglich in Shaolin und doch könnte ich Schreien.
Angeblich muss das so sein, laut Kultusministerium, da Gymnasien und Realschulen an den Rand ihrer Kapazitäten stossen und die Hauptschulen ohnehin in Puncto Qualität, d.h. durch intelligentere Kinder, aufholen müssen. Wenn der Hauptschulabschluss in der Wirtschaft noch was Wert wäre, hätte ich kein Problem damit. Vielfach bedeutet aber ein Hauptschulabschluss bereits jetzt 2006 eine sichere Laufbahn in die Jugendarbeitslosigkeit und somit in Hartz IV.
Betrachten wir uns die Situation des Standort Deutschland: Was die superschlauen Kultusbeamten scheinbar übersehen ist, dass immer weniger Paare aus dem mittleren und höheren Bildungsstand, also sprich Akademiker, und hier besonders die Frauen, sich im familienfeindlichen Deutschland für Kinder entscheiden. Gerade aber diese Familien waren bisher die Garanten für den akademischen Nachwuchs und somit für den deutschen Exportschlager, die geistige Kreativität. Doch bereits jetzt, Anfang des Milleniumjahrhunderts, fehlt es an akademischem Nachwuchs in Deutschland. Damit ist zum Einen die nächste GreenCard und zum Anderen das Outsourcen selbst der so deutschtypischen Ingenieur- und Forscherleistungen vorprogrammiert. Der Ausverkauf Deutschlands. Der Professor für Verfahrenstechnik an der Ohm-Fachhochschule in Nürnberg und Mentor meiner Frau, berichtete jüngst, dass vielfach Unternehmen an die Studenten herantreten würden, sie sollen ihr Studium abbrechen, um sie als Fachkräfte für ihre Unternehmen zu rekrutieren.

Oohm, oohm, ich bin ein Shaolin, oohm. Ich habe mir vorgenommen, noch diese Woche meinen Internisten aufzusuchen und hoffe er stellt bei mir den folgenden Befund nicht fest: „Herr Thome, ich muss Ihnen mitteilen, Sie haben das bayerische Bildungs-Geschwür.“ Oohm.

Thematik: Wirtschaftspolitik . .

Keine Kommentare

  • 1. mutant | 28.02.06 um 17:49

    „Was die superschlauen Kultusbeamten scheinbar übersehen ist, dass immer weniger Paare aus dem mittleren und höheren Bildungsstand, also sprich Akademiker, und hier besonders die Frauen, sich im familienfeindlichen Deutschland für Kinder entscheiden. Gerade aber diese Familien waren bisher die Garanten für den akademischen Nachwuchs und somit für den deutschen Exportschlager, die geistige Kreativität.“

    2 sachen: diese panikmache (ich unterstelle ihnen das jetzt mal nicht, aber sie bieten mir den aufhaenger) einiger, aehm, leute, daß nun die intelligenzia ausstuerbe und die sog „bildungsfernen schichten“ (warum sagt eigentlich keiner dumm und asozial, wenn er es meint?) mit ihren wahllos gezeugten jungverbrechern unser armes deutschland ueberschwemmen koennten, die treibt mir das wasser ins gesicht.
    ich weiss nicht, ob ich aus haeme traenen lachen soll, oder aus ekel weinen.
    aber gut, kommen wir zu punkt zwei:
    „geistige kreativitaet“, laut ihnen deutscher exportschlager, braucht doch heute kein mensch mehr. wird zeit fuer etwas erneuerung im deutschenexportkramladen.

  • 2. Alexander | 2.03.06 um 10:41

    Ich hab mich von Deinem Kommentar erst erholen müssen, deshalb erst jetzt die Antwort ;-). Natürlich will man mit seinem Posting auch Kontroversen hervorrufen und Diskussionen provozieren, wozu ist ein kritisch geführter Weblog sonst nutze. Doch der Vorwurf, ich würde mit meinem Posting „Das bayerische Bildungs-Geschwür“, Zitat „bildungsferne schichten“ diskriminieren, ist an diesem Platz nicht angebracht, da ich weder emotional noch mental diese Absicht hatte. Vielmehr habe ich einen klassischen Fehler begangen, an dem übrigens ein Bundestagsprädident wegen seiner Rede vor dem Bundestag zum Thema Judenverfolgung gescheitert ist, ich habe falsch zitiert. Der von Dir kritisierte Abschnitt meines Postings gibt weniger meine persönliche Meinung, auch wenn sich das so liest, vielmehr das Ergebnis einer Statistik wider, die ich irgendwann gelesen habe. Aus dieser Statistik geht hervor, dass, prozentual gesehen, der grösste Anteil des akademischen Nachwuchs Familien mit akademischer Bildung zuzuschreiben ist. Grund: diese fördern ihre Kinder im besonderen Masse. Was diese Statistik nicht aussagt, ist, dass es Kindern aus, Zitat „bildungsfernen schichten“, nicht möglich sein soll, ebenfalls einen akademischen Bildungsweg zu verfolgen. Im Gegenteil, würden Kinder aus, Zitat „bildungsfernen schichten in ebeso hohem Masse gefördert, würde sich das Verhältnis relativieren. Intelligenz endet oder beginnt nicht an den Grenzen sozialer Herkunft. Auch in Kreisen der High Society wird Dummheit geboren. Meistens mit Silicon. Wenn Du Tränen vergiessen willst, dann wegen der ungleichen Chancen in Deutschland, wie Kinder gefördert werden. Ach ja, am Satzanfang schreibt man immer gross, so am Rande von einem Russen ;-).
    Und jetzt lach mal wieder :-))

  • 3. Thomas Linsmeier | 22.03.06 um 14:16

    Hallo!

    Das Problem ist eigentlich ein ganz anderes: Es gibt heutzutage selbst ernannte Gurus, die meinen, zu wissen, was für die Kinder das Beste wäre. Das beginnt schon bei dem Musikschul-Krampf reicht über zig Vereine und endet bei der Orientierungslosigkeit der Schulen bzw. Kultusministerien. Denn Tatsache ist: Nach dem Pisa-Schock wurde krampfhaft versucht, etwas zu ändern – das ergab manche Schnellschüsse, die nichts taugen. Ein Beispiel: Keiner dachte darüber nach, dass es auf Grund der Einführung von G8 in wenigen Jahren zwei Abi-Abgangsjahrgänge geben wird. Wohin mit diesen Absolventen in einer völlig überlasteten Arbeitsplatz- und Uni-Landschaft?

    Generell denke ich mir, alles ein wenig lockerer sehen, nicht auf jeden Zug voreilig aufspringen und den Mut haben, auch einmal noch so wichtig erscheinende Pädagogen zu belächeln – denn damit straft man sie am meisten ab.

    Dass die Auslese ein Wahnsinn ist, ist klar. Gott lobe das alte System, in dem man nach der siebten Klasse HS noch in die RS durfte. Doch was soll man machen? Ändern kann man nix, also den Kindern ihr Leben lassen, sie zu keinen außerschulischen Schmarrn zwingen und ihnen doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit die reale Welt vor Augen halten, sie also nicht in ihrer Illusion lassen, dass dieses tolle Leben, das sie geboten bekommen, eine Selbstverständlichkeit ist. Letztendlich sehe ich es als meine Aufgabe, aus meinen Kindern ehrliche, fleißige, engagierte Mitbürger zu machen. Wenn das gelingt, machen sie ihren Weg – egal ob Abi, Mittlere Reife oder Quali.

  • 4. Mathias | 18.01.07 um 21:58

    Hallo Alexander,
    endlich mal einer der das Kind beim Namen nennt! Respekt !
    Ich bin in der selben Situation mit einer 9jährigen Tochter die mit großen Engagement die 4 Klasse in Bayern besucht, jedoch durch die tägliche Schikane bei Proben, welche dazu dienen die Spreu (max. 2-3 Schüler für weiterführende Schulen) vom Weizen zu trennen. Was bleibt ist Frust. Die Wochenenden sind mit Lernen verplant. So eine familienfeindliche Bildungspolitik ist himmelschreinend.
    Diese Bildungspolitiker gehören genauso unter Druck gesetzt, wie unsere Kinder.
    Nachdem unsere Tochter in einer Probe bei der 2/3 der Kinder unter der Note 4 lagen mit Herzrasen und Erbrechen nach Hause gekommen ist, kann ich diesen Bildungsschwachsinn nicht mehr mitansehen. Allein ist man machtlos. Kann man vielleicht eine Bürgerinitiative gegen diesen Bildungsschwachsinn gründen und zusammen gegen diese Schikane vorzugehen. Ich wäre dabei.

    Gruß Mathias